Die
Orgel der Kirche St. Matthäus wird renoviert und ist
längere Zeit nicht bespielbar. Es gibt zwar einen elektronischen
Ersatz, dennoch fehlen die Orgelpfeifen im visuellen Gesamtbild
des Kirchenraumes. Eine Kirche ohne Orgel – was liegt
näher, als temporär mit künstlerischen Mitteln
für symbolischen Ersatz zu sorgen durch ein funktionales
Instrument, das zwar keine Klänge erzeugt, stattdessen
Lichtspiel:
Eine „Lichtorgel“, nicht wie man sie aus der
80er-Jahre-Disco kennt, sondern anknüpfend an die lange
Tradition der Farborgel; eine Augenorgel, wie Georg Philipp
Telemann 1739 das von dem französischen Jesuitenpater
Louis-Bertrand Castel entwickelte Gerät beschreibt;
ein Lichtinstrument, wie es bei Alexander Skrjabin zum Einsatz
kommt, der 1910 eine eigene Luce-Stimme für seine sinfonische
Dichtung „Promethée. Le Poème du feu
(op.60)“ komponiert. Oder wie Alexander Wallace Rimington
1895 seine Motivation für den Bau einer Farborgel formuliert:
„The keyboard is, in fact, a large palette from which
we can paint with instantaneous effect upon the screen.“
(Rimington, Alexander Wallace: Colour Music. The Art of
Mobile Colour. London, 1911)
Der Wunsch nach einer Farb-Klang-Synthese vereint Kunst,
Musik und Technik und bringt zahlreiche Erfindungen und
künstlerische Objekte hervor. Die Form der Lichtorgeln
verändert sich mit den jeweiligen technischen Errungenschaften
der Zeit. Im Multimediazeitalter werden die Lichtinstrumente
von komplexeren Apparaten oder digitalen Techniken ersetzt
und erscheinen technisch antiquiert. Das künstlerische
Faszinosum dieser Ursprünge jedoch bleibt.
Das Remake einer frühen Lichtorgel soll an die Tradition
der Künstler-Erfinder anknüpfen und als skulpturales
sowie funktionales Objekt im Kirchenraum genutzt werden.
Der Prototyp besteht aus einer Orgeltastatur und zwölf
Lichtröhren. Die Tasten funktionieren wie Lichtschalter
und erzeugen verschiedenfarbige Lichtstrahlen. Durch das
Spiel von Akkorden, Melodien und Rhythmen wird der Raum
von verschiedenen Farbklängen beleuchtet. Der Betrachter
ist eingeladen, selbst in die Tasten zu greifen und die
stille Visualisierung der Farben und Rhythmen im Raum zu
beobachten. Durch ein Midi-Interface wurde die Lichtorgel
außerdem mit der elektronischen Kirchenorgel verbunden,
so dass das Licht automatisiert mit dem oberen Manual gespielt
werden konnte.
Das Lichtinstrument wurde der Matthäuskirche für
den Zeitraum der Ausstellung zur freien Verwendung im Kirchenbetrieb
überlassen und in die Veranstaltungen der Kirchengemeinde
sowie die Gottesdienste eingebunden werden. Darüber
hinaus gab es spezielle Musikveranstaltungen, bei denen
der Organist Armin Becker Musik und Farbklang zu einer eindrucksvollen
Synthese vereinte.
„Meine Herren Musiker, meine Herren Maler: ihr werdet
durch die Ohren sehen und mit den Augen hören und ihr
werdet den Verstand dabei verlieren! “ ( Hausmann,
Raoul: Die überzüchteten Künste. Die neuen
Elemente der Malerei und Musik. 1931, in: ders., Sieg Triumph
Tabak mit Bohnen. Texte bis 1933, Band 2, Hrsg.: Michael
Erlhoff, 1982)
Fotos: Leonie Felle |